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josephinhabermann

Schlittenhundemythos: Wasser




Ein kalter, klarer Januarmorgen ist angebrochen. In dem Moment, da ich die schwere Holztür von der Futterküche nach Draußen öffne, entweicht eine Wolke kondensierter Luft aus der Wärme des Inneren. Sie schleicht wie Nebel an die oberen Außengiebel des Holzhauses und lagert sich dort binnen Sekunden als feine Kristallflocken ab. Mein erster Atemzug nach Verlassen unseres Hauses bestätigt das bis dato stumpfe Gefühl des Thermometers: es ist frisch geworden über Nacht. Unter -25 Grad Celsius. Die Hunde liegen noch eingerollt, mit der Schnauze unter ihrem Schwanz dösend im Stroh, Einige haben sich in das Innere des Hundestalls verkrochen. Ich drücke die von der Kälte verzogene Tür hinter mir zurück in ihrem Rahmen und halte einen Moment inne. Meine Nasenhaare reagieren am Besten auf die Kälte. Sie sagen mir genau, wann die Temperaturen unter -15 Grad fallen. Beim Einatmen gefrieren die äußeren Härchen leicht und vibrieren mit der Schwingung des neuen Frostmantels, der ihnen übergeworfen wurde. Je Kälter, umso größer die Vibration, bis sie sich an die Außentemperaturen gewöhnt haben. Mein Blick schweift über die Hunde in Richtung Osten. Nicht weit entfernt, ca. 45 Minuten mit dem Auto, liegt die russische Grenze. Aktuell nicht überquerbar. Die Finnische Regierung hat alle Kontrollpunkte nach Russland geschlossen – ein unsichtbarer Vorhang. Genau aus dieser Richtung, jenseits der endlos scheinenden Ebene nordfinnischer Taiga, steigt nun das erste sanfte Licht des Tages empor. Die Polarnacht ist bald vorüber und mit ihr die atemberaubenden Malvenfarben des winterlichen Nordens. Solche Farben gibt es nur hier oben und wer sie einmal gesehen hat, wird von ihrer Schönheit bis in die Träume begleitet. Doch je näher die Sonne zurück an ihren angedachten Platz am Himmel kommt und wir sie bald wieder auf unserer Haut spüren werden, umso mehr weichen die rosa-blauen Pastelltöne. Schon jetzt wirkt der orangene Himmel flammenhafter im Vergleich zum Tiefblau der Dezember Dunkelheit. Als würde die Sonne den Rand des Horizonts von unten berühren aber keine einzige ihrer Strahlen schafft es darüber hinaus. Mit dem Rücken meines Wollhandschuhes, fahre ich grob über die Aussenränder meiner Augen und sauge die infolge der Kälte hervorgetretene Tränenflüssigkeit auf, bevor sie zu gefrieren beginnt. Also dann: ich lasse meine Gedanken noch unbestimmt umher wandern, während ich versuche die ersten Abläufe des Tages mit meinen Händen auszuführen.


Zu allererst wird das Wasser gewechselt. Bei diesen Temperaturen machen wir das 3x täglich. Immernoch nicht häufig genug, aber ein Zugang zu Frischwasser ist auch im Winter für die Hunde unerlässlich. Während das warme Wasser aus der Giesskanne über den Hals nach Aussen schwappt und mit einem lauten Knacken auf die metallenen Näpfe trifft, denke ich daran wie oft wir dieses Beispiel in unseren geführten Camp- und Rudelbesuchen erklären. Durch das Jahr öffnen wir unser Camp immer wieder für interessierte Gäste in sogenannten „Rudelführungen“. (Hinweis an dieser Stelle: eigentlich sind die Hunde kein Rudel. Sondern eine Gruppe. Die wir zusammengestellt haben und die durch uns gezwungen ist zusammen zu leben. Ein Rudel beschreibt ein natürlich gewachsenes – meist familiäres – Zusammenleben von eigentlich nur wenigen Tieren und wird überwiegend bei der Bezeichnung von Wölfen gebraucht. In einem Rudel haben die Tiere die feie Wahl der Abwanderung. Ein grosser Unterschied also zwischen Rudel und Gruppe. Aber Rudelführung klingt einfach cooler. Also verzeiht den Umstand, dass wir das als Werbewort missbrauchen :). Gäste die schon bei uns waren, kennen diese Erklärung bereits.)


Und in diesen Führungen, während ihr unseren 36 Schlittenhunden in ihrem Freigehege hautnah kommen könnt und wir euch eine Stunde lang einen authentischen Einblick in das Leben mit ihnen geben, verweisen wir an der ein oder anderen Stelle darauf, dass dieses Lebensmodell leider nicht selbstverständlich in Finnland ist.


We know: Auch unser Modell hat Schattenseite und ist weit weg von perfekt. Und das wisst ihr treuen Leser'innen aus den vorherigen Artikeln. Wir versuchen es virtuell (und vor Allem über diesen Blog) so authentisch wie möglich darzustellen. Wir wissen auch, dass es unmöglich ist auf einmal alle Schlittenhunde in ganz Finnland/ Lappland von heute auf morgen auf Gruppenhaltung umzustellen. Utopisch, wenn man bedenkt, dass einzelne Hunde bei uns bis zu ein Jahr brauchen, um sich an diese neue Lebensform zu gewöhnen, wenn sie vorher nur Kettenhaltung kannten. Utopisch, wenn man die Ausmasse der Industrie in ihrer Grösse begreift und dass diese Hunde kein Teil einer Familie sind oder in einem guten Musher (Begriff für Schlittenhundeführer'in) Zuhause leben, bei dem sie regelmässig Anschluss an dem tatsächlichen Alltag des Menschen haben. Nein, diese Hunde, hunderte von Ihnen, werden an der Kette geparkt in irgendeinem anonymen Waldstück, Grundbesitz irgendeinen riesigen Tourismusanbieters, bis es an der Zeit ist sie einzuspannen. Als wären es fucking Schneemobile die aus der Garage geholt werden. Im besten Fall, leben die Menschen in der Nähe der Hunde oder direkt dort, wo die Ketten angemacht sind. Aber Lapplands Wälder sind gross. Und leider gibt es eben auch jene Plätze, da fahren die Mitarbeitenden am Morgen zur Arbeit hin, kratzen die Kacke weg, geben Futter, trainieren die Hunde, und am späten Nachmittag fahren alle wieder nach Hause. Was zurück bleibt sind hundert Seelen im Wald, wie sie angekettet romantisch die Nordlichter anheulen. Reicht immerhin für Instagram.


Warum das möglich ist und warum das absolut nicht im Kopf der Gäste ist, die über eine Huskytour in Skandinavien nachdenken? Well done, Marketing. Wer blickt im Urlaub, in den wenigen Momenten, die er oder sie mit den Hunden verbringen, schon wirklich hinter die Kulissen? Wer vertraut nicht den Guides, die mit einem Strahlen, vom Wesen der Schlittenhunde berichten, während diese voller Energie und Power den Schlitten durch den Schnee ziehen. Es ist so einfach. So einfach all das zu glauben und wir machen absolut Niemandem einen Vorwurf.


Das Einzige was wir möchten, ist aufklären. Aufklären darüber, dass diese Industrie einen grossen Sprung hat. Dass immer mehr und immer grössere ausbeuterische Formen angenommen werden. Es gibt gute Farmen in Skandinavien, die verantwortungsvollen Tourismus mit Hunden betreiben. Diese Menschen machen das, weil sie eine Leidenschaft und Verantwortung gegenüber den Tieren mitbringen. Manche machen es „falsch“, weil sie es vielleicht nie anders gekannt haben. Weil es schlicht und einfach keine Regeln gibt. Finnlands Tierschutzgesetz ist absolut schwach. Was Viele überrascht, immerhin ist der Norden doch ein Vorbild für Eruopa. Schweden, Norwegen, Finnland: Länder mit guten Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystemen. Für menschen ideal.


Aber die Tiere?

Finnland beispielsweise ist noch eines der aktivsten Länder in Europa, in denen Pelzfarmen betrieben werden. Im grossen Stil.


Und Hunde? Nun, dieses Jahr kamen zwei Neuerungen heraus, die mich aufhorchen liessen. Endlich! Ein Anfang.


1. Bis Ende 2023, waren alle Hundebesitzer dazu verpflichtet, ihre Tiere offiziell eintragen und melden zu lassen. Mit Microchip und Registrierungsnummer. Wahnsinn. Endlich ein Anfang, um nachzuvollziehen und kontrollieren zu können wann/wo wie viele Hunde „gezüchtet“ werden. Wie viele Farmen tatsächlich wie viele Hunde besitzen und wie viele Hunde zwischendurch tatsächlich immer wieder „verschwinden“.


Bis zu diesem Zeitpunkt ist es durchaus üblich (bei Corona erst wieder im grossen Stil erlebt), einfach wild nach Bedarf die Hunde zu vermehren und wenn die Hunde nicht mehr passen (vom Sozialverhalten oder weil zu alt oder zu schwach oder ziehen nicht mehr oder oder oder) einfach zu erschiessen oder einschläfern zu lassen. Im Winter süsse Welpen den Touristen zu präsentieren (im Ernst Leute: welcher seriöse Hundemensch macht ABSICHTLICH Würfe im Winter, wenn nicht ausschliesslich zu dem Zweck, dass die Wintergäste diese kleinen Dinger knuddeln können und schöne Erinnerungsbilder mit nach Hause nehmen.) und dann sich dieser Tiere entledigen, wenn nicht mehr benötigt. Das passierte und passiert auf Kleinen, sowie auch grossen Farmen.

Weil das Gesetz es erlaubt. In Finnland darfst du dein Tier ohne medizinischen Grund selber töten (mit einer Waffe, wenn du einen Waffenschein besitzt) oder der Tierarzt muss kommen und sie einschläfern. Mit der Registrierungspflicht hatten wir Hoffnung, ein erster Ansatz von mehr Kontrolle würde in die Farmen einkehren.

Doch im Ernst: wer will die denn Alle Kontrollieren? Die Kapazitäten der tierärzte reichen aktuell ja nciht einmal für normale jährliche Kennel-Überprüfungen. Ausserdem lässt das Gesetz eine Lücke: laufen die Hunde über eine Firma, reicht eine allgemeine Registrierung über die Firmennummer. So pi mal Daumen. Wieder etwas entmutigend.


Doch dann wurde am 01.01.2024 ein Gesetz verabschiedet, was uns erneut hoffen liess: von nun an soll gesetzlich vorgeschrieben sein, dass Hunde (und Pferde) permanenten Wasserzugang haben sollen. Bis zu Beginn diesen Jahres, gab es diese Pflicht nicht. Was in der Praxis bedeutet: tausende von Hunden auf den Husky-farmen in finnisch Lappland (es gibt übrigens keine statistische Erhebung darüber, wie Viele Hunde und Tourismusunternehmen mit Schlittenhunden in Finnland existieren. Also hohe Dunkelziffer Gefahr!) keinen Zugang zu Frischwasser hatten. Mit Glück und Verantwortungsbewusstsein der Besitzer, haben die Hunde im Sommer Wasser bekommen. Im Winter jedoch – und da ist sich der Grossteil der Musherszene einige – brauchen die Hunde kein Frischwasser.


Erstens: sie können ja Schnee fressen. Habt ihr mal, wenn ihr richtig durstig wart, versucht den Durst mit Schnee zu stillen? Dauert ziemlich lange, bis ihr da glücklich werdet. Selbst unsere Tiere, die zum grossen Teil (nicht permanent, da es zu schnell einfriert) freien Zugang zu Frischwasser haben und zusätzlich Wasser über die Futterzubereitung aufnehmen, essen unterwegs auf den Touren Schnee.

Gleichzeitig wird in jedem erste-Hilfe, Outdoor-Guide Kurs gelehrt: wenn ihr lange draussen unterwegs seid, mit Schnee kocht und Trinkwasser zubereitet, achtet darauf dass der Schnee nicht (so wie unser Trinkwasser, welches zuvor durch die Erde gelaufen ist und sich mit Mineralien aufgeladen hat) keine Mineralstoffe in sich trägt, die für ein funktionierendes System wichtig und notwendig sind. Aber für unsere Hunde gut genug.

Und dann noch: die Hunde stehen (bis auf die wenigen Momente am Tag wo sie einen Schlitten ziehen), an einer 1,50 Meter langen Kette. Innerhalb dieses Umkreises schlafen, pissen, kacken und fressen sie. Und dann sollen sie den übrig gebliebenen Schnee, der nicht von der Kette in einem perfekten Kreis (übrigens schön auf Google Maps einsehbar, überall diese hübschen symmetrischen Kreise) plattgemacht wurde, als Trinkwasserquelle nutzen? Come on!


Es gibt natürlich noch die weitere Theorie, dass Hunde ihren benötigten Wasserbedarf über das Futter aufnehmen. D.h. Sie brauchen im Winter kein Frischwasser, wenn das Futter mit Wasser zubereitet wird. Und auch hier wieder: nur weil ihr ein Glas Wasser zum Mittagessen trinkt, trinkt ihr für den Rest des Tages Nichts mehr? Klar, Mensch und Hund physiologisch miteinander zu vergleichen ist Schwachsinn. Aber es geht doch um das grundlegende Bedürfnis, selbst entscheiden zu können, wann ich etwas trinken will. Wann ich durstig bin. Es sind Hunde verdammt. Genau wie unsere besten Freunde, rechts und links von der Couch.


Um Schlittenhunde und deren Verhaltensweisen wird ein derartiger Mythos aufgebaut, dass wir als Menschen, als Gäste, die zum ersten Mal Kontakt mit ihnen haben, denken sie seien so ganz anders als unsere Haushunde. Aber SIND.SIE.NICHT! (Natürlich gibt es verschiedene Theorien und Meinungen zu Wässern und Füttern von Hunden. Damit sie funktionieren, gut hydriert sind aber auch keinen Durchfall bekommen. Damit sie für lange Touren oder Rennen einsetzbar sind, wird über die richtige Fütterung und Wässerung eine intensive Analyse betrieben. was ja grundlegend nicht verkehrt ist. Aber sind sie nicht trotzdem berechtigt, Frischwasser zu haben um zu trinken, wann sie wollen? Wir haben so oft den Mythos gehört, dass Schlittenhunde ja gar kein Wasser trinken wollen. Vor Allem nicht im Winter, weil sie schnee fressen. Ja, unsere fressen auch Schnee. Aber trinken auch Wasser. Bestes Beispiel: Halti. Der Letzte, den wir aufgenommen haben. Aus Kettenhaltung. Sobald ich morgens mit der Giesskanne komme, ist er der Erste, der am Napf steht und säuft. So viel zu der Theorie. Das Kerlchen war vorher 8 Jahre an der Kette. Nur wenige Monate hier und er trinkt sehr gerne und viel freiwillig Wasser. Nun denn, mit dem neuen Gesetz dachten wir endlich YES: eine Änderung. Denn wer nicht in der Lage ist seine Hunde mit Frischwasser zu versorgen, weil zu gross oder die Haltungsform zu aufwendig (stellt euch rein praktisch vor, 230 Näpfe an 230 Ketten, jeweils drei mal täglich mit Frischwasser zu füllen im Winter), der sollte vielleicht mal drüber nachdenken, ob das die richtige Haltungsform ist. Aber, natürlich kommt ein Aber, dann haben wir weiter nach unten gescrollt:

Tadaaaa. Ausgenommen von dieser neuen Regelung sind Tierhaltungsformen, die mit ihren Tieren geschäftlich tätig sind. Bspw. Schlittenhundefarmen im Tourismus. Jesus! Ist das wirklich euer Ernst, ihr die ihr das Gesetz entworfen habt?

Nun denn. Es ist wie es ist. Wir werden also weiterhin bei den Rudelführungen das Beispiel mit dem Wasser bringen. Es ist so grundlegend, so elementar, dass wir nicht einmal darüber nachdenken das in Frage zu stellen. Und ein Hinweis am Ende: wir reden hier nicht von privaten Mushern, die mit ihrer Liebe zum Hundesport, ein genau ausgeklügeltes Ernährungs- und Wässerungssystem entworfen haben. Es geht um hunderte von anonymen Farmen in Finnland. Irgendwo im Wald. Unter den Nordlichtern, darauf wartend, dass der nächste Bus mit Touristen anrollt.


Schluss für heute. Ich klappe den Laptop zu und strecke meine Arme durch. Diese winzige Bewegung animiert die bis dahin schlafenden Fellknäuel rechts und links der Couch, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen. Ein ausgiebiges Dehnen der Vorderläufe, ein schmatzendes Gähnen, ein Schütteln, ein leicht freudiges Schwanzwedeln. Sie merken, ich stehe nicht auf, nichts passiert. Also einfach kurz dösig durchs Haus trotten, am Wassernapf vorbei und einen Schluck genommen. Wieder hinlegen. So selbstverständlich.



Hier die Quelle zum neuen Wasser-Gesetz:


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